Andrea Haarer
Kunstgeschichtliches Seminar
Edmund-Siemers-Allee 1
20146 Hamburg
Raum: 116 (Hauptgebäude)
Tel.: +49 40 42838 8136
Fax: +49 40 42838 8145
Projekt
Zwischen den 1830er und 1870er Jahren zeichnet, kritzelt, kleckst und kratzt der französische Schriftsteller Victor Hugo (1802-1885) auf Tausenden von Blättern. Auf kleinformatigen Papieren experimentiert er mit verschiedenen Instrumenten, Materialien und Handgriffen des Zeichnens, Malens, Aquarellierens und Druckens und mit deren eigenen formgebenden Potentialen. Das Dissertationsprojekt untersucht dieses Bildermachen. Es versteht Bildermachen als eine eigenständige, nicht-begriffliche Praxis, um zu Wissen zu gelangen: Im Hantieren mit Instrumenten und Materialien, im Zulassen ihrer Eigenarten und Unvorhersehbarkeiten, im Aufmerken, Überdenken, Verschieben oder Verwerfen kann Etwas erforscht, sinnlich unmittelbar begegnen und erspürt werden. Wissen muss nicht abstrakt vorgefasst oder begrifflich benennbar sein, sondern kann eine materiale Grundlage haben. Das Dissertationsprojekt fragt nun danach, worüber Hugo im Bildermachen nachdenkt.
Immer wieder arbeitet sich Hugo an wuchernden Ornamentgebilden, an anwachsenden und ›schmelzenden‹ Architekturen, an unwirtlichem Stein, an bizarren Kreaturen und an ungeschlachten Fluida ab, die seltsam aus der Bildkultur des 19. Jahrhunderts herausfallen. Scheinen diese Motive zunächst unverbunden, diskutieren naturgeschichtliche Forschungen seit den 1820er Jahren in Frankreich an solchen Gegenständen eine kreative Natur, die zu unbekannten Zeiten, in unerreichbaren Tiefen und an unzugänglichen Abseiten immer wieder neue, ungekannte und drastische Formen wuchern, wachsen, wandeln und vergehen lässt. Anhand von Bildanalysen arbeitet das Projekt heraus, dass sich Hugo im Bildermachen künstlerisch an dieser Natur abarbeitet: Wie die Natur immer wieder ungekannte Formen bildet, so bildet auch Hugo nicht gesehene Formen. Im Experimentieren mit verschiedenen Materialien, Instrumenten und Handgriffen ›forscht‹ Hugo nach einem kreativen Tun, das radikal nur wie die formbildenden Kräfte, Materien und Prozesse der Natur funktioniert. Im Bildermachen denkt Hugo über ein künstlerisches Tun nach, das selbst „natürlich“ ist. Dabei will das Projekt auch Etwas darüber erfahren, wie ›Natur‹, künstlerisches Tun und ›Bild‹ in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgefasst wurden und in welchen Zusammenhang sie gebracht werden konnten.
Vita
Andrea Haarer studierte Kunstgeschichte und Romanistik an der Universität Tübingen und schloss ihr Studium mit einer Magisterarbeit zu Michelangelos David und den Blickkonstellationen auf der Piazza della Signoria in Florenz ab. Von 2013 bis 2015 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe Form und Emotion. Affektive Strukturen in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts an der Universität Mainz. Seit 2015 ist sie Stipendiatin an der Forschungsstelle Naturbilder an der Universität Hamburg. Sie interessiert sich besonders für Kunst und Naturwissenschaft im Frankreich des 19. Jahrhunderts und für Theorien künstlerischer Produktion.
..
Publikationen
Victor Hugos Kraken (1866-1869). Ein Tierbildexperiment. In: Tierstudien 10 (2016), 49-58.
Dark Liquids: Victor Hugo and Phosphorescent Seawater. In: State of Flux. Aesthetics of Fluid Materials. Hg. von Marcel Finke und Friedrich Weltzien. Berlin 2017.
Victor Hugos schwarze Wasser. Taches (1870-1875). In: Naturalismen. Kunst, Wissenschaft, Ästhetik. Hg. von Robert Felfe, Frank Fehrenbach und Maurice Saß. (In Vorbereitung)